Review

Sticking it to the Man reviewed in CultureMag (German)

Reading Ahead‘ (19) Sticking It to The Man“

Ausflug in revolutionäre Zeit

By CultureMag

lf Mayer über Andre Nette und Iain McIntyres „Sticking It to The Man: Revolution and Counterculture in Pulp and Popular Fiction, 1950 to 1980“

Die Gruppe MC 5 pflegte zu Woodstock-Zeiten ihre Konzerte mit dem Ruf ins Publikum zu eröffnen: „Are You Part of the Problem, or Are You Part of the Solution?“ – Natürlich kam die Antwort: „Part of the Re-vo-lu-tion!!!“

Vorsicht, dieses Buch kann revolutionäre Gelüste (wieder) erwecken. Es ist ein Ausflug in eine Zeit, in der man noch an die Weltrevolution glauben konnte – und glaubte. Eine Zeit, in der die Autoritäten in Frage gestellt, Konventionen umgestürzt, muffige Talare gelüftet, Pflastersteine herausgerissen, BHs verbrannt, die Arme eingehakt, auf den Straßen demonstriert und die herrschenden Verhältnisse in Frage gestellt wurden. Sexuelle Revolution natürlich inklusive. Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment. Die White Panthers riefen auf zu einem „Totalen Anschlag auf die Kultur, mit allen erforderlichen Mitteln, seien es Rock’n’Roll, Drogen oder öffentliches Vögeln“ – „a Total Assault on the Culture by any means necessary, including rock ’n’ roll, dope and fucking in the streets”.

„Sticking it to The Man“, vulgär übersetzt, Es der Staatsgewalt in den Arsch stecken, netter: Es der Obrigkeit zeigen oder Macht Sie fertig, die reichen Säcke, das war das Gebot der Stunde. Und so lautet auch der Titel von Andrew Nette und Iain McIntyre großem und mit über 350 irren Covern reichhaltig bebilderten Ausflug in die Gegenkultur, wie sie sich in Pulp und populärer Fiktion von 1950 bis 1980 manifestierte, reaktionäre Loopings inklusive. Ihr ebenso üppig illustriertes Buch zur Jugendkultur, „Girl Gangs, Biker Boys and Real Cool Cats: Pulp Fiction and Youth Culture, 1950-1980“, habe ich hier im Frühjahr 2018 besprochen. Die beiden Populärkultur-Kenner aus Melbourne haben bereits ein neues Werk im Werden, es wird von Dystopien, New Wave und anderen literarischen Zukunftsexperimenten handeln, der Titel: „Dangerous Visions and New Worlds: Radical Science Fiction, 1960 to 1985“.

Andrew Nette, dem Sie bereits in unserem CulturMag-Jahresrückblick 2017 und 2018 begegnen konnten, ist international einer der besten Kenner der Pulpliteratur, Pulpcurry heißt seine besuchswerte Internetseite. Schon jung war er von den Taschenbüchern fasziniert, die sein Vaters las und sammelte. Was auch mich in Australien immer wieder überrascht, das sind die Used-Book-Kultur und die reiche Bücherbeute, die man bei Garagenverkäufen und in den noch in den kleinsten Käffern zu findenden Heilsarmee-Shops machen kann. Die Ladenpreise für Bücher sind irre hoch, entsprechend schwunghaft ist die Zirkulation.

„Zeitgeist“ und „Subversion“ sind die Oberbegriffe, unter denen sich das grandiose, großzügig gestaltete und illustrierte Buch (Format: 20,2 x 26 cm) subsummieren lässt: politischer und sozialer Wandel, Anti-Kolonialismus, Feminismus, Kriegsdienstverweigerung und Opposition zum Krieg in Vietnam, Black Power, Bürgerrechte, Generalstreik, Studentenbewegung, Coming Out, Subversion in jeder Form, Vigilantismus, Sympathie für revolutionäre Bewegungen, ja auch für Terrorismus. All dies gespiegelt in der populären Literatur – und zufällig (hihi) in den Erfolgsdekaden des Paperbacks. Hunderte von Autoren und ganze Genres sind hier längst wieder in Vergessenheit geraten. Andrew Nette und Iain McIntyre haben nicht den Anspruch, das endgültige Werk über ihr Thema vorzulegen, ihre Leistung aber ist gewaltig, es ist ein Meilenstein. Sie selbst nennen es Schnappschüsse, und sie beschränken sich auf die USA, auf Australien und Großbritannien. In insgesamt über 50 Beiträgen, darunter 18 Einzelbesprechungen von Büchern, und mit Unterstützung von mehr als zwei Dutzend Autoren, wird ein wunderbar weiter Bogen gespannt.

Anschaulich und lesbar wird untersucht, wie die Populärkultur, hauptsächlich die Literatur, Radikalismus und sozialen Wandel zum Thema machte, wie diese Umwälzungen von Autoren, Verlegern und Lesern bearbeitet und verstanden wurden. Die beiden Hauptautoren schätzen die Zahl solcher Romane auf einige tausend. Viele, vermutlich die große Mehrheit der Autoren hatten wenig, wenn nicht gar keine Verbindung zu dem Umfeld, das sie beschrieben, vieles war oberflächlich oder negativ, reißerisch und ungenau, bediente Sensation und Vorurteile, war reaktionär oder spekulativ. Nichtsdestoweniger wagten sie sich wenigstens auf ein Feld, das die bürgerliche Welt gern außer Acht ließ, noch die mindersten Werke transportierten wenigstens eine Ahnung, dass dort „dort draußen“ etwas Umwälzendes passierte. Man darf hierbei nicht vergessen, dass McCarthys Schatten noch weit in die 1960er reichte, das Kalter Krieg war. Unterm Strich kann man sagen, dass diese Romane nicht nur ihre Zeit reflektierten. Sie prägten sie auch. Hier bei CrimeMag muss nicht eigens betont werden, dass noch der größte Schrott Einsicht in soziale Mores, in Ängste, Mentalitäten und Denkweisen zu geben vermag.

So etwas wie die Mittelachse des Buches bilden einige vornehmlich schwarze Autoren, zuvörderst natürlich Chester Himes. Kinohi Nishikawa, von dem es die solide Studie „Street Player. Black Pulp Fiction and the Making of a Literary Underground“ gibt, schreibt über die Romane von Donald Goines und die von Iceberg Slim. Drei Jahre nach der Ermordung von Martin Luther King hielt (der weiße) Ernest Tidyman es für an der Zeit, über einen schwarzer Winner zu schreiben, den Privatdetektiv Shaft – „the private dick that’s a sex machine to all the chicks“, wie Isaac Hayes ihn sah. Am selben Abend, an dem der Musiker für den Titelsong von „Shaft“ einen Oscar erhielt, stand auch Tidyman auf der Bühne: Oscar für das Drehbuch zu „French Connection“. Zischen 1971 und 1975 schrieb er sieben „Shaft“-Romane, darunter Titel wie „Shaft among the Jews“ und „Shaft has a Ball“.

Hier ein unvollständiger Blick ins Buch:

  • Scott Adlerberg über „The Crime Fiction of Chester Himes“; 
  • David Whish-Wilson über die Widerstandskraft und die Repräsentation von Aborigines in Pulp und populärer Fiction;
  • Gary Phillips über schwarze Archetypen in Kriminalromanen: „The Cool, the Square, and the Tough“;
  • Michael A. Gonzales unter dem schönen Titel „Shafted“ (Reingelegt worden) über Ernest R. Tidyman und die Entstehung des Films „Shaft“; 
  • Steve Aldous über Ernest Tidymans Romanserie „Shaft“;
  • Michael Bronski über „Gay Pulp in the Years before Stonewall“; 
  • Iain McIntyre über den aufständischen Terrorismus in Kanada: „Canadian Carnage: Quebecois Separatism through the Lens of Men’s Adventure Novels“;
  • Bill Osgerby über „Pulp Feminismus”;
  • Alley Hector über Lesbi-Pulp Novels: „The Odd Girls’ Journey out of the Shadows“; 
  • Andrew Nette über David Lone Wolf in den  Vigilante-Romanen von Barry N. Malzberg; 
  • Andrew Nette über Pulp-Vietnam-Romane: „Blowback“;
  • Brian Coffey über Campus-Revolten: „Young, Hip, and Angry“;
  • Danae Bosler über „Betty Collins and the Australian Industrial Novel“; 
  • Nicolas Tredell über britische Romane und radikale Bewegungen: „Ferment in Fiction: 1965–75“;
  • J. Kingston Pierce über die Superspade Novels von Joseph Perkins Greene: „Black Is Beautiful“; 
  • Kinohi Nishikawa (von dem es die Studie „Street Player. Black Pulp Fiction and the Making of a Literary Underground“ gibt) über die Romane von Donald Goines: „The Radical“ und über Iceberg Slim: „The Player and the Allure of the Street“,
  • Woody Haut über „The Real Noir: Dambudzo Marechera’s Journey from Rhodesia to Britain to Zimbabwe“. 

Dazu Einzelbesprechungen, unter anderem:

  • Rita Mae Brown „Rubyfruit Jungle“,
  • Oliver Lange „Incident at La Junta“,
  • John Rechy „City of Night“;
  • Brian Greene „The Jones Men“, 
  • John A. Williams „Sons of Darkness, Sons of Light“, 
  • Wally Ferris „Across 110th“,
  • die Romane von Joseph Hansen,
  • die „Dark Angel“-Serie von James D. Lawrence,
  • die „Black Samurai“-Reihe von Marc Olden.
  • Andrew Nette and Iain McIntyre: Sticking it to The Man: Revolution and Counterculture in Pulp and Popular Fiction, 1950 to 1980. Mit Beiträgen von Scott Adlerberg, Steve Aldous, Eric Beaumont, Danae Bosler, Michael Bronski, Brian Coffey, David James Foster, Michael A. Gonzales, Molly Grattan, Brian Greene, Woody Haut, Alley Hector, Emory Holmes II, Maitland McDonagh, Bill Mohr, Kinohi Nishikawa, Bill Osgerby, Jenny Pausacker, Gary Phillips,J. Kingston Pierce, Susie Thomas, Nicolas Tredell, Linda S. Watts, David Whish-Wilson ####

Reading ahead mit CrimeMag:
(18) David Whish-Wilson: The Coves
(17) Rachel Kushner: The Mars Room
(16) Stephen Greenblatt: Tyrant
(15) John Harvey: Body & Soul
(14) Iain McIntyre and Andrew Nette: Girl Gangs, Biker Boys and Real Cool Cats: Pulp Fiction and Youth Culture, 1950-1980

(13) The Illustrated Ross Macdonald Archives
(12) Peter Blauner: Proving Ground
(11) Mike Ripley: Kiss Kiss Bang Bang
(10) Stephen Hunter: G-Man
(9) James Ellroys Fotoband: LAPD ’53
(8) Richard Price: The Whites
(7) Dominique Manotti: Noir
(6) Chuck Logan: Falling Angel
(5) Tod Goldberg: Gangsterland
(4) Gerald Seymour – ein Porträt
(3) Donald E. Westlake: The Getaway-Car
(2) Garry Disher: Bitter Wash Road
(1) Lee Child: Personal

Sowie:
Liebe und Terror im Goldenen Zeitalter der Flugzeugentführungen – Brendan I. Koerner: The Skies belong to Us (2013)
Kem Nunn: Chance (2013)
R. J. Ellory: A Quiet Belief in Angels (2012)
Lee Child: Jack Reacher’s Rules (2012)
Charles Bowden: 
Murder City: Ciudad Juárez and the Global Economy’s New Killing Ground (2010)